Gut geknotet - Einwirkung
Das Knotenhalfter erfreut sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit. Nicht nur der Trend zur Bodenarbeit, auch die vielen möglichen Designs und der Trend des Selbermachens machen es so beliebt wie nie. Aber so simpel und praktisch, wie das Knoten eines Halfters aus einem Seil oder einem Strick auch sein mag, so konträr wird es auch betrachtet.
- Historischer Kontext
Die einen begreifen diese Halfter als sinnvolles und direktes Kommunikationsmedium zwischen Pferd und Mensch, die anderen verpönen es wegen zu starker Druckpunkte und Schärfe. Für einen Rundumblick ist neben der aktuellen Verwendung auch ein historischer und anatomischer Kontext essentiell. Historisch gesehen hat sich das Knotenhalfter in verschiedenen Kulturen nur aus einem Zweck heraus entwickelt: Geknüpft oder geknotet aus einem Seil bietet es eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, ohne weitere Hilfsmittel eine Befestigung für Pferde herzustellen. Aus diesem Grundgedanken heraus haben sich in den verschiedenen Ländern auch verschiedene Varianten des Knotenhalfters entwickelt. Einen weiteren Zweck im Sinne der Einwirkung auf das Pferd – außer der Praktikabilität – wurde diesen Halfterformen aber nicht zugeschrieben. Die Popularität der Knotenhalfter hat sich erst durch die hier etablierte Bodenarbeit und die steigende Beliebtheit des Natural Horsemanships gesteigert. Interessanterweise gab es historisch gesehen irgendwann eine Wende in der Nutzung und im Ansehen der Knotenhalfter in Bezug zum klassischen Lederhalfter. Viele Pferdehalter anderer Kulturen und Länder haben aus Kostengründen auf das Knotenhalfter zurückgegriffen. Lediglich für schwierige Pferde wurden Halfter aus Leder und mit Metallbeschlägen angefertigt – also genau der umgekehrte Gebrauch, der heute propagiert wird.
- Wirkt das Knotenhalfter auf bestimmte Druckpunkte?
Um durch die Knoten punktuell und gezielt Druck auf bestimmte Stellen auszuüben, müsste das Halfter auch um ein vielfaches enger geknotet und an den Pferdekopf angelegt werden, was sicherlich in keinem Interesse ist. Eine gezielte Einwirkung auf Meridiane oder Akupunkturpunkte war weder die ursprüngliche Intention solcher Halfter, noch ist das in der Praxis machbar oder nachvollziehbar. Das gehört zu den modernen Legenden, die sich hartnäckig in der Pferdeszene halten. Dennoch liegt es bei Halftern natürlich grundsätzlich in der Natur der Sache, dass sie deutlich lockerer sitzen als zum Beispiel Trensen, und so durch etwaiges Verrutschen viel eher auf empfindliche Regionen am Pferdekopf drücken oder ins Auge rutschen können – was natürlich grundsätzlich, unabhängig der Halfterform, vermieden werden sollte. Der Druck des Knotenhalfters entsteht entgegen der weitverbreiteten Meinung nicht auf Grund der Knotenpunkte, sondern er resultiert viel mehr aus der Beschaffenheit des Halfters. Gemäß der Physik ist Druck die Definition der angewandten Kraft auf eine bestimmte Fläche. Hinsichtlich des Materials und der Verarbeitung sind die verwendeten Schnüre um ein vielfaches schmaler und dünner als übliche Stallhalfter aus Leder und Nylon. . So wird durch gleichen Zug der Druck auf einer viel kleineren Fläche zentriert als bei breiten Halftern und wirkt dementsprechend deutlich „schärfer“. Daraus lässt sich auch ableiten, warum sich Pferde mit einem Knotenhalfter besser kontrollieren lassen: Die Impulse am Führseil kommen direkter und schneller beim Pferd an. Aber genau darin liegt auch der Vorteil am Training mit dem Knotenhalfter: Die Möglichkeit zu ganz weicher und präziser Einwirkung macht den Vorteil aus.
- Betrachtung aus medizinischer Sicht
Der Kopf des Pferdes zählt zu den sensibelsten Bereichen des gesamten Organismus. An ihm verläuft auch der fünfte von 12 Gehirnnerven: Der N. trigeminus ist der stärkste sensible Nerv des Kopfbereiches und wird deshalb auch als Hauptgesichtsnerv bezeichnet. Er versorgt den Großteil der Kopfhaut, die Zahnwurzeln sowie beinahe alle Schleimhäute im Kopfbereich. Dieser Nerv teilt sich wiederum in drei Hauptäste auf, die in einzelnen Nerven enden und an einigen Stellen durch die Kopfhöhle an die Oberfläche treten. Viele moderne Zäumungen streben bereits eine Freilassung dieser Nervenaustrittspforten sowie der an der Oberfläche verlaufenden Nervenbahnen an.
Im Vergleich zum Knotenhalfter und auch dem normalen Stallhalfter ergibt sich hierbei der Vorteil, dass Zäumungen enger am Pferdekopf anliegen und ein Verrutschen gewissermaßen verhindert wird – zumal sie korrekt verschnallt sind. Bei Halftern liegt es in der Natur der Sache, dass sie locker am Pferdekopf sitzen. Wird nun aktiv mit dem Pferd gearbeitet überträgt das Führseil den Zug bzw. den Druck auf das Knotenhalfter und dieses wiederum auf den Pferdekopf. Je nachdem in welche Richtung der Impuls am Führseil gegeben wird, wird das Knotenhalfter unausweichlich verrutschen. Auch der intensive Druck auf das Genick, der durch die schmalere Auflagefläche des Seils begründet ist, sollte jedem bewusst sein. So liegen auf den ersten beiden Halswirbeln nicht nur die Schleimbeutel des Genicks auf, zusätzlich befindet sich zwischen dem Hinterhauptsbein und dem Atlas auch der Ansatz des Nackenbandes.
Aber auch Skelett bezogen ergeben sich einige Besonderheiten, die beim Anlegen und dem Sitz von Zäumungen und Halftern beachtet werden müssen. So ist die Jochbeinleiste sehr scharfkantig und das darüber liegende Gewebe entsprechend empfindlicher. Daraus ergibt sich – sowohl bei Zäumungen als auch bei Halftern – die (mindestens) Zweifingerregelung unterhalb des Jochbeins. Beachtet man nun die Anatomie des Nasenbeins, das an seinem Ende lediglich wenige Millimeter misst, erschließt sich auch die Empfindsamkeit dieser Region. Somit erfordern selbst locker liegende Halfter – soweit sie im Training verwendet werden – eine gewisse Achtsamkeit. Der Grad, wo der Nasenriemen liegen sollte, ist wortwörtlich schmal. Der sensible Umgang und das Wissen um die anatomischen Besonderheiten ist natürlich bei allen Utensilien gefordert, die am Pferdekopf anliegen.
- Fazit
Grundsätzlich bedarf die Arbeit mit Pferden eine erhöhte Aufmerksamkeit durch den Menschen: die „Schärfe“ jeglicher Ausrüstung zeigt sich erst durch dessen Benutzung.